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FIFA-Legende Schellhase: "Das Niveau ist deutlich gesunken!"

Der erfolgreichste FIFA-Spieler der Welt im Interview

FIFA-Legende Schellhase: "Das Niveau ist deutlich gesunken!"

Dennis Schellhase (li.) ist auch fünf Jahre nach seinem Karriereende der erfolgreichste FIFA-Spieler der Welt. Zusammen mit seinem Bruder Daniel dominierten die "FIFA-Twins" die Szene.

Dennis Schellhase (li.) ist auch fünf Jahre nach seinem Karriereende der erfolgreichste FIFA-Spieler der Welt. Zusammen mit seinem Bruder Daniel dominierten die "FIFA-Twins" die Szene. Schellhase

Dreifacher Weltmeister, zweifacher Europameister, zwölf deutsche Meisterschaften und vier Europameistertitel mit der Nationalmannschaft im European Nations Championship: Die Bilanz von Dennis 'styla' Schellhase ist beeindruckend. Zusammen mit seinem Bruder Daniel, der nur einen deutschen Meistertitel weniger im Schrank stehen hat, sind die Schellhase-Zwillinge die erfolgreichsten FIFA-Spieler der Welt. Seit 2011 hat Dennis Schellhase seine eSport-Karriere beendet. Zusammen mit seinem Bruder ist er, wie manche Leute es vermutlich nennen, im "normalen" Arbeitsleben angekommen. Die eSport-Leidenschaft hat den heute 33-Jährigen allerdings immer noch nicht verlassen.

kicker eSport: Guten Tag Herr Schellhase, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Gut acht Jahre waren Sie und Ihr Bruder die Referenz des FIFA-eSports und noch heute werden Sie in jeder Hall of Fame genannt. Können Sie den Begriff "FIFA-Twins" überhaupt noch hören?
Dennis Schellhase: Natürlich, warum auch nicht. Dieser Begriff hat einen großen Teil unseres Lebens geprägt und war auch immer als Kompliment zu verstehen. Dieser Begriff wird wohl auch unser ganzes Leben noch begleiten. Während unserer Karriere war dieser Begriff allgegenwärtig und andauernd zu hören. Nun hört man ihn aber immer seltener. Dafür hört man ihn umso lieber. Je länger die aktive Karriere her ist, desto stolzer kann man doch sein, dass man den Leuten damit noch im Kopf geblieben ist.

kicker eSport: Jetzt fragen sich vermutlich viele, was ist aus einem der erfolgreichsten FIFA-Spieler aller Zeiten geworden? Was machen Sie heute?
Schellhase: Nach dem Karriereende habe ich die Chance erhalten, als erster Mitarbeiter die zentraleuropäische Niederlassung des NAS-Hersteller Synology maßgeblich mit aufzubauen. Mit Sitz in Düsseldorf, also unweit meiner Heimat Gelsenkirchen, entwickelte sich das Unternehmen zum klaren Marktführer, wobei ich das Produktmanagement leite, was ein breites Gebiet an Aufgaben und Verantwortlichkeiten mit sich bringt. Für mich ebenfalls eine neue, spannende Erfahrung, an der man täglich wächst und sich auf persönlicher Ebene weiterentwickelt.

kicker eSport: Was macht Ihr Bruder Daniel 'hero' Schellhase?
Schellhase: Mein Bruder arbeitet im Produktmanagement für Konico Minolta und hat damit einen sehr ähnlichen Lebensweg wie ich eingeschlagen. Von daher gleichen wir uns auch immer noch sehr, obwohl wir nun zum ersten Mal wirklich getrennte Wege gehen, wenn auch beruflich ähnlich Jobs bekleiden.

kicker eSport: Wieso haben Sie sich entschieden, dem eSport beruflich den Rücken zu zukehren?
Schellhase: Es kamen insgesamt mehrere Dinge zusammen, die den Ausschlag gaben, den eSport zu beenden. Zunächst ändert sich mit fortschreitendem Alter natürlich auch die Lern- und Reaktionsfähigkeit. Ich merkte schon, dass ich vor allem gegen junge Spieler hier einen Nachteil hatte, den es mit Erfahrung und einem kühlen Kopf wettzumachen galt. Wir hatten uns durch die jahrelange Dominanz natürlich auch einen gewissen Ruf aufgebaut, den wir zu verlieren hatten. So möchte man natürlich nicht abtreten, wenn man nicht mehr in der Lage ist, auf allerhöchstem Niveau mitzuhalten.

kicker eSport: Manche hält das dennoch nicht davon ab ...
Schellhase: Wir hatten dazu auch alles bereits mehrfach gewonnen. Unsere Leistungsfähigkeit also immer wieder unter Beweis gestellt, weshalb die Motivation des Wettbewerbs eine immer geringere Rolle spielte. So kam ich an einen Punkt, an dem eine „echte“ neue Herausforderung fehlte, um einen entsprechenden Ehrgeiz zu entwickeln. Ein weiterer Faktor war dazu auch die Entwicklung des Spiels, das sich immer mehr an Zufallsfaktoren orientierte. Das Spiel wurde immer mehr darauf entwickelt, um große Leistungsunterschiede zu unterdrücken und damit auch einem Anfänger die Möglichkeit und das Gefühl zu geben, ein Spiel gegen einen wesentlich besseren Spieler gewinnen zu können.

Das Spiel wurde immer mehr auf die breite Masse ausgelegt, was wirtschaftlich für einen Spielhersteller zwar Sinn macht, bei professionellen FIFA-Spielern aber zu Frust führt.

Dennis Schellhase

Das Spiel wurde immer mehr auf die breite Masse ausgelegt, was wirtschaftlich für einen Spielhersteller zwar Sinn macht, bei professionellen FIFA-Spielern aber zu Frust führt. Dazu beendete ich im gleichen Jahr das Studium, und der Einstieg ins „geregelte“ Berufsleben sollte ja auch nicht zu spät erfolgen. So fiel die Entscheidung dann auch nicht schwer, am Ende des Jahres 2010 die virtuellen Fußballschuhe an den Nagel zu hängen und sich noch mal außerhalb des eSports in der IT-Branche ganz von vorne zu beweisen.

kicker eSport: Trauern Sie Ihrer eSport-Karriere manchmal nach?
Schellhase: Das lässt sich ganz einfach mit einem klaren Nein beantworten. Zu keinem Zeitpunkt kam bisher der Moment, an dem ich der Karriere nachtrauerte. Ich habe die Zeit damals genossen und bin dankbar für alles, was ich erleben durfte und sich dadurch geboten hat: Durch die Welt reisen, seiner Leidenschaft nachgehen und sich sportlich mit Anderen zu messen und Dinge zu erleben, die man als „normaler“ Mensch wahrscheinlich niemals erleben kann. Mit einem ausfüllenden Job, in dem ich mich verwirklichen kann, habe ich nun eine neue Leidenschaft, die mich genauso ausfüllt.

Dennis (li.) und Daniel Schellhase wurden beide in die Hall of Fame der World Cyber Games als "WCG Legends" aufgenommen.

Dennis (li.) und Daniel Schellhase wurden beide in die Hall of Fame der World Cyber Games als "WCG Legends" aufgenommen. SK Gaming

kicker eSport: Spielen Sie noch hin und wieder privat FIFA oder ist das Kapitel durch?
Schellhase: Klar macht man hin und wieder noch private Männerabende mit Freunden und zockt eine Runde FIFA. Oder man lädt gleich zu einem FIFA-Abend ein, wo kleine Turniere im privaten Kreis gespielt werden. Aber das Spiel habe ich mir gar nicht mehr gekauft und spiele es wirklich nur an den Abenden. Ansonsten würde ich zu schnell zu gut werden und dann macht ein solches Turnier für alle Beteiligten nicht so viel Spaß, wie wenn man sonst einen waschechten Weltmeister mal schlagen kann.

kicker eSport: Was war der schönste Moment in Ihrer eSport-Karriere?
Schellhase: Sportlich gab es viele tolle Momente. Mein schönster Moment war aber in Monza 2006, als mein Bruder sich den Weltmeister-Titel sichern konnte. Nachdem ich ihm 2003 quasi den ersten Weltmeister-Titel im Finale entrissen hatte und mir 2005 meinen zweiten Weltmeister-Titel sichern konnte, war es für Ihn mehr als Zeit. Er hatte sehr hart in dem Jahr dafür gearbeitet, was am Ende auch belohnt wurde. Sein Weltmeistertitel 2006 hat mich mehr gefreut als jeder meiner eigenen Erfolge.

kicker eSport: Und was der schlimmste Moment?
Schellhase: Mein schlimmster sportlicher Moment war dann im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 2009. Bis dahin hatte ich das ganze Jahr über in der aktuellen FIFA-Version nicht ein einziges Spiel verloren und ich musste mich einem klaren Außenseiter geschlagen geben, der in der nächsten Runde dann auch direkt eine klare Niederlage von meinem Bruder zugefügt bekam. Diese Niederlage tat extrem weh, da man sich das ganze Jahr natürlich vor allem für dieses Turnier vorbereitet und dies auch die einzige Niederlage mit FIFA 09 für mich darstellen sollte. Dies ist ein schwarzer Fleck, der sich leider nicht korrigieren lässt. Aber auch solche Erfahrungen sind wichtig.

kicker eSport: Haben Sie noch Kontakt zur Szene?
Schellhase: Mit einigen alten Spielern aus meinem ehemaligen Team habe ich noch Kontakt. Ich würde Sie trotz der räumlichen Distanz als Freunde bezeichnen, da wir in der aktiven Zeit sehr viel Zeit miteinander verbracht haben und gemeinsam viele schöne Momente hatte. Vor allem unsere extrem lustigen Trainingslager werden mir immer in Erinnerung bleiben. Durch sie erfährt man auch viel über die Entwicklung im Bereich FIFA und anderen eSport-Disziplinen. Ansonsten trifft man gerade im Berufsleben als IT-Hersteller auf viele ehemalige Sponsoren, mit denen man in unterschiedlichen Ausprägungen kooperiert. Etwa die Jungs von Intel, Samsung oder Kingston, über die ich nur lobende Worte sagen kann und mich auf persönlicher Ebene zu einem Fan dieser Brands gemacht haben.

kicker eSport: Schauen Sie sich aktuelle Turniere (FIWC, VBL) an und gibt es FIFA-Spieler, die Ihnen besonders auffallen?
Schellhase: Man verfolgt hin und wieder die Spiele, aber nicht mehr so aktiv wie früher. Gerade nach unserer Karriere sind die Spieler, die aufgrund unserer Dominanz sonst eher die zweite Geige gespielt haben, anschließend mehr ins Rampenlicht gerutscht und konnten auch tolle Erfolge feiern. Unter den deutschen Spielern sind mir Jan Zimmermann und Benedikt Saltzer am meisten präsent. Ein gewisses Interesse bleibt wahrscheinlich immer und man möchte ja auch sehen, wie sich das spielerische Niveau entwickelt. Wie clever sind die aktuellen Topspieler und wie stark sind Sie in taktischer Hinsicht.

Bisher ist das Niveau leider eher gesunken, was aber zu einem Großteil der negativen Entwicklung zuzuschreiben ist.

Dennis Schellhase

kicker eSport: Ihre Dominanz in der FIFA-Szene war beispiellos. Einige sagen aber auch, dass es möglicherweise daran lag, dass es damals keine große Konkurrenz gab. Wie sehen Sie das, war die Qualität damals schwächer?
Schellhase: Ich sehe das eher gegenläufig. Nach unserem Triumph 2003 gab es einen regelrechten Hype um FIFA. Nachdem mein Bruder und ich in den Medien sehr präsent waren, gab es natürlich viele junge Leute, die dem nachgeeifert haben. Genauso haben Sponsoren den medialen Effekt erkannt, wodurch auch immer größere Turniere aus dem Boden schossen. So gab es jedes Jahr viele neue, starke Spieler, die selbst bei kleinen Teilerfolgen schon die Frage stellten, was wäre, wenn Sie seit 2003 gespielt hätten. Daraus schöpften wir aber jedes Jahr neue Motivation, weshalb man darum sehr dankbar sein muss. So hatten wir die Herausforderung, uns jedes Jahr neu zu beweisen und sämtliche kritischen Stimmen verstummen lassen, dass man wirklich der Beste wäre. Erst nach unserer aktiven Zeit begann dann die Zeit der Spieler, die in unserem Schatten standen. Leider hat sich ja bereits zu unserer aktiven Zeit abgezeichnet, dass der Hersteller das Spiel ausschließlich auf Massentauglichkeit weiterentwickelt hat. Durch den immensen Einfluss von Zufallsfaktoren und Ingame-Formkurven wurde das Spiel immer unberechenbarer, weshalb gerade die talentierten Spieler FIFA den Rücken kehrten und sich auch die Turnierlandschaft immer weiter verringerte. Ich würde eher ganz im Gegenteil von einem Qualitätshoch zu unserer aktiven Zeit sprechen. Bisher ist das Niveau leider eher gesunken, was aber zu einem Großteil der negativen Entwicklung zuzuschreiben ist.

kicker eSport: Hat sich die FIFA-eSport-Szene auf organisatorischer Ebene Ihrer Meinung nach verbessert oder verschlechtert?
Schellhase: Die Frage passt perfekt zu dem, was ich eben angedeutet habe. Der FIFA-Bereich hat sich sehr negativ entwickelt. Natürlich gibt es auch Lichtblicke, wie z.B. das Engagement des VFL Wolfsburg. Aber das Grundproblem sehe ich beim Hersteller, der in den vielen Jahren leider versäumt hat, das Spiel entsprechend zu entwickeln, um den ambitionierten Spielern eine Plattform zu geben, sich zu messen und gleichzeitig dem Casual Gamer eine Möglichkeit zu geben, einen gemütlichen Abend mit FIFA zu verbringen. Ein eigener Competitive-Mode, der auf das Leistungsvermögen der Spieler ausgelegt ist und auch höhere und klarere Matchergebnisse zulässt, wäre hier ein ganz wichtiger Faktor. FIFA muss im eSport nicht realistisch sein, sondern seinen Fokus auf schnelle, packende Szenen mit Traumtoren legen.

Dennis Schellhase läutete zusammen mit SK Gaming die erfolgreichste Zeit der Szene ein.

Dennis Schellhase läutete zusammen mit SK Gaming die erfolgreichste Zeit der Szene ein. SK Gaming

kicker eSport: Wenn man sich Preisgelder und Turniere ansieht, ist FIFA im Vergleich zu anderen eSport-Disziplinen ziemlich unterentwickelt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Schellhase: Ich könnte hier stundenlang ein Wunschszenario beschreiben, wie sich das Spiel und dessen Möglichkeiten zu entwickeln hätten, aber um nicht zu weit auszuschweifen: Das Grundsatzproblem liegt im Spiel selbst. EA hat sich hier ganz klar der Massentauglichkeit bzw. dem Casual Gamer verschrieben. Man könnte jetzt darüber philosophieren, ob Fußballspiele selbst einfach nicht passen, aber man muss es einfach mit anderen Spielen im eSport vergleichen. Unter den Strategiespielen oder Shootern entwickeln sich auch große Communitys und kleine Communitys, daraus lässt sich nicht auch auf ein ganzes Genre schließen. Der Spielehersteller hat ein entsprechendes Eco-System zu schaffen, das funktioniert. Das Potenzial ist da, FIFA ist eines der meistverkauften Spiele.

kicker eSport: Konnte man denn damals, als Sie noch aktiv waren, vom FIFA-eSport leben?
Schellhase: Die Verdienstmöglichkeiten variieren sehr stark und sind immer sehr individuell zu betrachten. Wir hatten hier natürlich einen etwas anderen Stellenwert als andere professionelle Spieler. Aber man konnte den einen oder anderen Euro damit verdienen, mehr kann ich dazu allerdings nicht sagen.

Mit ein, zwei Tricks oder Spielzügen ist da kein Blumentopf mit zu gewinnen.

Dennis Schellhase

kicker eSport: Was würden Sie jungen Spielern raten, die in der FIFA-Szene als eSportler arbeiten möchten?
Schellhase: Wichtig ist vor allem ein gewisser positiver Ehrgeiz. Sich von keiner Niederlage von seinem Ziel abbringen zu lassen, sich stetig weiterzuentwickeln und vor allem von den Niederlagen zu lernen. Wichtig ist auch, sich eine flexible Spielweise anzueignen, wenn auch der Einstieg damit schwerer ist, zahlt sich das auf allerhöchstem Niveau am Ende aus. Mit ein, zwei Tricks oder Spielzügen ist da kein Blumentopf mit zu gewinnen. Ein Profi erkennt dies und lässt einen Spieler niemals in entsprechende Situationen kommen. Da muss man sich umstellen können. Ansonsten spielt sich alles im Kopf ab, Erfahrungen zu sammeln, was wie wahrscheinlich ist und den Gegner zu lesen. Massenhaftes Spielen ist nicht der Schlüssel zum Erfolg, sondern konstantes Lernen. Junge, talentierte Spieler sollten dann vor allem in puncto Verträge und Vereinbarungen besonders vorsichtig sein. Die Bedeutung einer eigenen Sicherheit ist nicht zu unterschätzen und man sollte auch bei langfristigen Partnerschaften niemals blauäugig werden.

kicker eSport: Einige ehemalige eSportler kehren nach einer Weile wieder zurück, ob als Trainer, Manager oder Teamgründer. Ihr ehemaliges Team SK Gaming hat beispielsweise den FIFA-Bereich neu aufgestellt. Wie steht es mit Ihnen? Kann man ein Comeback von Ihnen oder den "FIFA-Twins" erwarten?
Schellhase: Für ein Comeback als Spieler hätte es einer Herausforderung gebraucht, für die es sich gelohnt hätte, den Zusatzaufwand in Kauf zu nehmen und noch einmal zurück zu kehren. Nun sind 5 Jahre nach unserer aktiven Zeit vergangen und wir werden natürlich auch nicht jünger, weshalb ein aktives Comeback extrem unwahrscheinlich ist. Ob sich die Wege dann ansonsten in irgendeiner Weise mit dem eSport wieder kreuzen, sollte man niemals ausschließen. Meinerseits lässt sich lediglich definitiv ausschließen, dass sich die Wege mit SK Gaming oder Acer und dessen Agentur jemals wieder kreuzen werden ...

Nicole Lange, Nicole Lange