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Klassiker Sensible Soccer: eSport seit über 15 Jahren

"Das beste Fußball-Videospiel, das es je gab"

Klassiker Sensible Soccer: eSport seit über 15 Jahren

Pure Leidenschaft: Eine Szene von der Sensible Soccer Weltmeisterschaft in Pirmasens.

Pure Leidenschaft: Eine Szene von der Sensible Soccer Weltmeisterschaft in Pirmasens. Philipp Habermann

1992 veröffentlichte der Entwickler Sensible Software die erste Version eines Spiels, welches noch bis zum heutigen Tag von vielen Fans gespielt wird: Sensible Soccer. Zuvor spielten viele Fußball-Fans vor allem den Klassiker Kick Off 2. Philipp Habermann erinnert sich auch noch knapp 24 Jahre später an das Gefühl, als er Sensible Soccer zum ersten Mal ausprobierte: "Als Sensible Soccer erschien, war Kick off 2 für viele Geschichte. So auch für uns. Es war das erste Mal das Gefühl da, das es wirklich ein Fußballspiel ist. Es fühlte sich an, als wäre man wirklich im Spiel."

Obwohl auch die heute äußerst erfolgreiche Spieleserie FIFA bereits 1993 mit ihrer ersten Version FIFA International Soccer auf den Markt ging, war dies für Habermann und seine Freunde kein Grund zu wechseln: "FIFA war damals nicht besser, man hatte viel weniger Möglichkeiten als bei Sensible Soccer". Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie Sensible Soccer auch in den folgenden Versionen treu blieben.

1994 trug die Serie zum ersten Mal den Namen Sensible World of Soccer, wie es heute noch von vielen genannt wird, obwohl in der Community oft auch nur noch von Sensible Soccer gesprochen wird. Die neue Version brachte damals einen Karriere-Modus, wie er auch aus heutigen Fußball-Simulationen bekannt ist. Man konnte eine eigene Mannschaft auswählen und auf dem Transfermarkt bereits Spieler handeln. Bis 1996 lieferte Sensible World of Soccer (SWOS) eines der umfangreichsten Fußballspiele, selbst im Vergleich mit heutigen Spielen: Im aktuellen FIFA 16 gibt es insgesamt über 650 spielbare Teams. In SWOS waren es zu Hochzeiten bis zu 1600. Ein "Benchmark" in Sachen Karrieremodus, wenn es nach Habermann geht.

"Sensible Soccer hätte heute dritte Kraft neben PES und FIFA sein können"

Mit der Version aus dem Jahr 1996 wurde das Gameplay dann noch einmal umfangreich erweitert und Dinge wie Pässe flach anschneiden oder Kopfbälle aus dem Stehen waren ab sofort möglich. Kurz vor der Jahrtausendwende wurde die gesamte Marke allerdings vom britischen Entwickler Codemasters geschluckt. Die heute eher für Rennspiele bekannte Firma machte in den Augen von Habermann einen entscheidenden Fehler, denn sie entwickelten die Serie nicht weiter: "Hätten sie damals Geld in die richtigen Elemente investiert, könnte Sensible Soccer heute die dritte Kraft neben PES und FIFA sein", vermutet Habermann.

Spiel um Platz 3 bei der WM 2014.

Spiel um Platz 3 bei der WM 2014. DaDjowger YouTube

Spielerisch haben sich die Versionen aus den Neunzigerjahren zumindest augenscheinlich kaum verändert. Die klassische 2D-Draufsicht hat heute zwar ihren ganz eigenen Retro-Charme, war aber bereits 1999 nicht mehr Zeitgemäß, als auch FIFA bereits aufwendige 3D-Animationen bot. Eine Besonderheit hat aber der immer größer werdende Konkurrent außer Acht gelassen: "Bei FIFA ist es ja kaum möglich den Ball zu verlieren. Wenn ich nicht angegriffen werden, klebt der Ball ja an meinem Spieler. Das ist bei Sensible Soccer damals nicht so gewesen, da musstest du immer aufpassen, dass du den Ball richtig mitnimmst. Das ist extrem schwierig und erfordert viel Timing".

Aus der Not eine Tugend gemacht

Da die Unterstützung von Inhaber Codemasters eher bescheiden war, wurde 2001 die Webseite sensiblesoccer.de von Michael Jänsch aus Berlin und Carsten Rothhaar aus Pirmasens ins Leben gerufen, ein Anlaufpunkt für alle begeisterten Fans, die dem Spiel treu blieben. Denn mit viel Programmier-Aufwand schaffte es die Community bereits schon damals mittels angepasster Amiga- und Sega-Emulatoren, den Klassiker auch im Online-Multiplayer auf dem PC zu spielen. Dadurch gab es bereits früh die Möglichkeit, kleinere Turniere und Ligen zu veranstalten.

Die stetig wachsende Community, die sich nicht so recht mit den neuen Versionen von FIFA oder Pro Evolution Soccer anfreunden konnte, hatte somit ein neues Zuhause und bereits 2004 ertönte der Anpfiff für die erste Weltmeisterschaft. Austragungsort war das beschauliche Pirmasens. Der spätere Rekordweltmeister Philipp Habermann konnte noch nicht dabei sein. Aber bereits im Folgejahr sollte er seinen ersten Titel einspielen. Bis heute stehen insgesamt acht Meisterschaften auf seinem Konto, was ihn mit Abstand zum erfolgreichsten Sensible Soccer-Spieler macht.

"Wir spielen nur um die Ehre"

Die sogenannten Sensible Days, wie die jährlichen Meisterschaften heute auch genannt werden, haben ihren Namen von den hiesigen Fast-Food-Ketten: "Die hatten doch damals immer so Namen für ihre Aktions-Wochen, Mexican Days oder so - das fanden wir ganz witzig und haben es übernommen".

Philipp 'Playaveli' Haberman (li.) und 'ALI' – die beiden Meister von 2013.

Philipp 'Playaveli' Haberman (li.) und 'ALI' – die beiden Meister von 2013. Philipp Habermann

Während die ersten drei Weltturniere in Pirmasens nur wenige Teilnehmer anlockten, kam 2007 der große Durchbruch. Die Online-Ligen liefen richtig an und die Meisterschaft knackte erstmals die 40-Spieler-Marke. Höhepunkt war dann die WM 2009 in Fulda, bei der insgesamt 62 Leute antraten und sich Habermann ebenfalls den Titel sicherte. Seitdem wechselt der Austragungsort jährlich. Leute aus der Community kümmern sich um die Organisation und so wanderten die Sensible Days bereits unter anderem durch Polen, Bulgarien oder Dänemark. Auch die diesjährige 2016er-Ausgabe ist bereits in Planung.

Große Preise wollten die Veranstalter dabei nie verteilen. Es gibt zwei Pokale für die Haupt-Meisterschaften auf dem PC und Amiga und einen riesigen Wanderpokal, der selbst die heutigen eSport-Trophäen alt aussehen lässt. Die Frage nach dem Preisgeld winkt Habermann ab: "Wir spielen nur um die Ehre. Sobald Du um Geld spielst, reagieren die Leute heute einfach anders".

Die Zukunft von Sensible Soccer

Das Habermann und die mittlerweile etwas geschrumpfte Community, die heute immer noch eine Stärke von 12.000 Mitgliedern hat, auch in einigen Jahren noch SWOS spielen werden, scheint realistisch – aber was ist mit neuen Spielern und eventuell einer neuen Version?

Alt aber gut: Szene aus SWOS, das immer noch Fan-Herzen höher schlagen lässt.

Alt aber gut: Szene aus SWOS, das immer noch Fan-Herzen höher schlagen lässt. youtube/MojoDkura

Bereits 2007 versuchte sich Codemasters an einem Remake für die Xbox 360, das im Prinzip auch äußerst gelungen war, der Multiplayer-Modus allerdings in den Augen der eingefleischten Fans nicht wirklich den Ansprüchen entsprach und sie den Titel schnell wieder fallen ließen. Die Motivation, heute noch immer zur mittlerweile fast 20 Jahre alten Version zu greifen, ist dabei äußerst schnell erklärt: "Ich bin einfach davon überzeugt, immer noch nicht alles gesehen zu haben. Die Leute werden immer noch jedes Jahr besser", erklärt Habermann. Aber auch ihm ist bewusst, dass sich der Titel nicht ewig halten wird. "Wenn es keine neue Version geben wird, hält sich das Ganze nur noch ein paar Jahre". Die internationalen Online-Ligen auf der Webseite laufen seit über 12 Jahren ohne Unterbrechung. "Und das mit primitiven Mitteln eines 15 Jahren alten Amiga-Emulators – das Potenzial ist riesig!", legt er aber optimistisch nach.

Wer heute noch Teil der Community werden möchte, kann sich über die Webseite direkt eine modifizierte Version runterladen. Rechtliche Probleme gibt es damit keine, denn Codemasters duldet es und alles andere wäre auch in den Augen der Spieler nicht nachvollziehbar. Bis zur Weltmeisterschaft im August 2016 bleibt also noch etwas Zeit. Diese findet in den Niederlanden statt und auch Philipp wird wieder vor Ort sein, er hat immerhin einen Titel zu verteidigen.

Robin Schulz